Rauminstallation 2001
Öl auf Leinwand, Holzbänke
4 Leinwände 160 x 240 x 9 cm
12 Leinwände 38,5 x 48,5 x 6,5 cm
8 Holzbänke, Höhe 45 cm
Die vier großen Formate stehen jeweils auf zwei Holzbänken an die Wand gelehnt. Oberhalb hängen jeweils drei der kleinen Farbfelder, die immer die Farbkomposition aussparen, die auf der großen Fläche zu sehen ist. Rosa Parkbänke – auf blauem Grund, nordwärts – auf gelbem Grund, südw.rts – auf weißem Grund, ostwärts – auf grünem Grund, westwärts. Ein Arrangement, dass auf bewegliche Tagträume, gedankliche Reisen, Standortwechsel in Bewegungslosigkeit, Entrückungen, Annäherungen, Zeitmaß, Zeitläufe und Richtungen anspielt. Ein Kreisen um die eigene Achse, in der Ahnung um die Maße dieser Welt.
Anlässlich der Ausstellung WÄRTS in der VEAG (heute Vattenfall) Berlin 2001, ist ein Leporello, mit einem Text von Michael Schindhelm erschienen.



NIEMEINLAND
Michael Schindhelm, gekürzter Text im Leporello WÄRTS, 2001
NIEMEINLAND Jemand, eine Frau, hat gerade das Fernglas herunter genommen. So, wie ihr Gesicht da am Rahmen lehnt, erinnert sie mich, durch den konspirativen Schleier, der irgendwo zwischen ihr und mir schwebt, an eine Marienikone. Byzantinischer Blick, während ich mich gleich zwischen mehreren Unmöglichkeiten entscheiden muss: Gehen, Stehen, Sehen – reine, in ihrer Reinheit unerreichbare Zustände. Die Unschärferelation des Besuchers. Je mehr er geht, um so weniger steht und sieht er. Je mehr er sieht, um so umso weniger steht und geht er. Sehen. Bilder einer Ausstellung. Eyes wide shut. Die Frau mit dem Fernglas. Die Umrisse ihres Gesichts jetzt minimalinvasiv in die Leinwand geritzt. Neben ihr ein ornisterbeschwerter Rücken. Der Mensch, der dort geht – geht. Er zögert keinen Augenblick mehr. Der Abschied ist nicht im Plan gewesen. Eben noch hier gewesen, und schon vor der Tür, durch die ein seltsames Weiß hereintritt, was kein Licht sein muss. „So leben wir und nehmen immer Abschied“. Das ist lange her. Inzwischen leben wir ohne Abschied. Niemand kommt an, um zu leiben, jeder kommt an, um zu gehen.
Gehen ist Hitze und Kälte. Gehen auf Stelzen und Asphalt, auf Wolken und Datenbahnen, auf Blut- und Eisenbahnen. Am liebsten aber auf Humus. Über Ahornblätter, zwischen Seidelbast und Pfifferling, Saatkrähen rütteln über dem Acker. Sehen und Gehen das verträgt sich nicht, „ain´t looking for nothing in anyones eyes“ sagt Dylan, der Sänger. Nein, das Stehen, das Vergehen, zum Beispiel von Zeit, die weder zu haben noch zu halten ist. Jeder Zeitbesitz ist Täuschung.
Und doch diese Paarung von Feigheit und Erwartung. Das reine Stehen ereignet sich doch. Ereignet sich im Niemandsland. Nur, wer niemand wird, erreicht seine Erde. Vielleicht ist der Gänger auf rosa Landschaft dorthin unterwegs. Zuversichtlich hat der die Schultern hoch und den Kopf eingezogen. Sein Profil ist eine Sandbank im Rosameer. Unentwegt nimmt er irgendwo ab und irgendwo zu. Den Beinen, unter den Achseln, löst er sich auf und bildet sich neu. „Mich wird man nicht mehr sehen, ich werd verschwindend klein“, sagt Mandelstam, der Dichter. „Dort, wo ich nicht bin, ist das Glück“ sagt ein russisches Sprichwort. Das Glück ist im Niemandsland. Dort, wo ich aufhöre, ich zu sein. Dorthin ist der Dünenmann unterwegs. Wird er müde legt er sich auf einer rosa Parkbank nieder.
Rede 19.09.2001
Christoph Rüter, gekürzt
Als Dokumentarfilmer sitzt man normalerweise hinter der Kamera und bringt andere Leute zum Sprechen und sucht sich dann das wichtigste aus, deshalb ist es für mich ganz ungewohnt und eine Premiere, plötzlich als Redner vor Ihnen zu stehen. Als mich Freda im Spätsommer fragte, ob ich Lust hätte, ein paar Worte auf ihrer kommenden Vernissage zu sprechen, sah die Welt noch anders aus. Nun befinde ich mich in einer Situation, in der bei mir das aktuelle Filmprojekt zerbröselt und die Worte schwer fallen. Trotzdem der Versuch einer Rede, die eine kurze sein wird. Ich kann Freda einfach keinen Wunsch abschlagen.
Fassungslos, wie so viele andere, saß ich tagelang vor dem Fernseher und sah mir diese finsteren ‘Bilder’ aus der Hölle an. Auch nach der 100. Wiederholung setzte kein Begreifen ein, sondern eine Stille, die immer atemloser wurde. Ich sprach nur noch mit ganz wenigen Personen; eine davon war Freda. Das, was in New York und Washington geschehen war, war neu: ein Paradigmenwechsel, eine Grenzüberschreitung war passiert, wie einst bei den Gaskammern, das war z. B. Fredas Assoziation, und wie einst bei dem Abwurf der Atombombe. Die Welt hat sich eindeutig verändert. Nun ist alles möglich: It can happend every time and everywhere. Nun sitzen wir in einer Zwischenzeit – in between (übrigens der Titel einer Arbeit von Freda, die hier hinter dem Kubus hängt) – und haben das eine hinter uns und das andere noch vor uns. Das andere wird neu sein und macht uns Angst.
Und was soll Kunst in so einer Zeit? Wenn die Realität sogar die Fiktion, noch nie sah Hollywood so alt aus, bei weitem übertrifft.
Freda machte im Vorfeld dieser Ausstellung, noch vor den Ereignissen in New York, zu mir eine Bemerkung, die ihre momentane Situation auf den Punkt bringt: “In Genua werden Globalisierungsgegner erschossen und mißhandelt” sagte sie, “und ich stelle hier meine rosa Bänke aus”. Man muß wissen, daß Freda Italien sehr liebt und umso mehr entsetzt war, daß nun gerade dort diese faschistoide Gewaltorgie seitens der Polizei ausbrach. Wo war das Mediterrane?
Was soll das also mit der Kunst? Nun stellte sich diese Frage nach der Katastrophe in New York noch verschärfter. Freda ist sehr kritisch mit sich selbst, eine Zweiflerin. Es dauert ewig bis sie ein Bild rausrückt. Immer wiederkehrende Fragen wie: Bin ich überhaupt eine Malerin, wo bleibt der Ruhm, wo bleibt das Geld, die anderen sind viel jünger und viel erfolgreicher als ich usw, usw… La vie d’Artiste- kennt man ja. Alles Fragen, die uns immer wieder beschäftigen – und irgendwann auch die jüngeren. Unsere Generation (das gilt nur für die ehemaligen Westdeutschen) wird in der Literatur als die Generation der Berufsjugendlichen geführt. 1968 zu jung, um zu den früh vergreisten 68igern zu gehören und 1980 zu alt, um mit den Hausbesetzern Steine zu schmeißen. Eben ‘inbetween’. Die ewigen Beobachter, die selten das beeindruckt. Die Entstehung dieser Reihe habe ich mitverfolgt. Immer wenn ich das Gefühl hatte, jetzt stimmt aber alles, ging Freda hin und ließ ihre Ladies noch feiner und durchsichtiger werden. Bis es stimmte – für sie.
Bei Freda habe ich immer ihr unglaubliches Stehvermögen bewundert. Es gibt eine Kraft bei ihr, die man ihren Bildern, die oft – nicht immer – etwas sprödes und verschlossenes haben und sich erst beim 2. oder 3. Hinsehen langsam öffnen, ansieht. Geradezu mißtrauische und einsame Bilder, die erobert sein wollen. Am Anfang unserer Freundschaft war der Kontrast zwischen Fredas Erscheinung und ihrer Bilderwelt für mich manchmal frappierend. So manche hielten sie für ihr bestes Ausstellungsstück. Das führte dann auch schon mal zu Mißverständnissen, und die Frage stand im Raum: Will der Kunde jetzt ein Bild von mir kaufen oder mich? Fredas Bilder können nicht unter dem Adjektiv ‘schön’ abgelegt werden und sie haben in ihrer Kompromißlosigkeit überhaupt nichts modisches.
Also, was soll das mit der Kunst in solch finsteren Zeiten?
Wenn ich mich jetzt in deiner Ausstellung umschaue, liebe Freda, dann muß ich sagen, daß du mir mit deinem “wärts” aus der Seele sprichst. Liest es sich doch auch wie eine Beschreibung des aktuellen Zustands. In dem du “wärts”, ein Wort was es gar nicht gibt, freigesetzt hast, entläßt du den Zuschauer in eine Bewegung. Alles ist möglich. Was ist das Gegenteil von Himmelwärts? Was ist Vorwärts? Was ist Rückwärts? Südwärts? Du gibst dem Vakuum, in dem wir uns gerade befinden einen Namen, den, so paradox es klingt, es gar nicht gibt, aber gleichwohl jeder begreift. Das ist tröstlich. Deshalb wird deine Kunst gebraucht. Deshalb muß man in solchen Zeiten, auch wenn man die Ausstellung 100mal absagen wollte, rosa Bänke ausstellen. Mehr rosa Bänke, bitte, Freda!
In einem kurzen Gedicht unseres gemeinsamen Freundes Thomas Brasch fand ich etwas von dem wieder, was dich, was uns umtreibt, und was sich vielleicht am deutlichsten in dem Bild auf der Einladung wiederfindet und daß ich hier zum Schluß noch kurz vortragen möchte.
Was ich habe, will ich nicht verlieren, aber
wo ich bin will ich nicht bleiben, aber
die ich liebe, will ich nicht verlassen, aber
die ich kenne will ich nicht mehr sehen, aber
wo ich lebe, da will ich nicht sterben, aber
wo ich sterbe, da will ich nicht hin:
Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin.



