Rede 19.09.2001
Christoph Rüter, gekürzt
Als Dokumentarfilmer sitzt man normalerweise hinter der Kamera und bringt andere Leute zum Sprechen und sucht sich dann das wichtigste aus, deshalb ist es für mich ganz ungewohnt und eine Premiere, plötzlich als Redner vor Ihnen zu stehen. Als mich Freda im Spätsommer fragte, ob ich Lust hätte, ein paar Worte auf ihrer kommenden Vernissage zu sprechen, sah die Welt noch anders aus. Nun befinde ich mich in einer Situation, in der bei mir das aktuelle Filmprojekt zerbröselt und die Worte schwer fallen. Trotzdem der Versuch einer Rede, die eine kurze sein wird. Ich kann Freda einfach keinen Wunsch abschlagen.
Fassungslos, wie so viele andere, saß ich tagelang vor dem Fernseher und sah mir diese finsteren ‘Bilder’ aus der Hölle an. Auch nach der 100. Wiederholung setzte kein Begreifen ein, sondern eine Stille, die immer atemloser wurde. Ich sprach nur noch mit ganz wenigen Personen; eine davon war Freda. Das, was in New York und Washington geschehen war, war neu: ein Paradigmenwechsel, eine Grenzüberschreitung war passiert, wie einst bei den Gaskammern, das war z. B. Fredas Assoziation, und wie einst bei dem Abwurf der Atombombe. Die Welt hat sich eindeutig verändert. Nun ist alles möglich: It can happend every time and everywhere. Nun sitzen wir in einer Zwischenzeit – in between (übrigens der Titel einer Arbeit von Freda, die hier hinter dem Kubus hängt) – und haben das eine hinter uns und das andere noch vor uns. Das andere wird neu sein und macht uns Angst.
Und was soll Kunst in so einer Zeit? Wenn die Realität sogar die Fiktion, noch nie sah Hollywood so alt aus, bei weitem übertrifft.
Freda machte im Vorfeld dieser Ausstellung, noch vor den Ereignissen in New York, zu mir eine Bemerkung, die ihre momentane Situation auf den Punkt bringt: “In Genua werden Globalisierungsgegner erschossen und mißhandelt” sagte sie, “und ich stelle hier meine rosa Bänke aus”. Man muß wissen, daß Freda Italien sehr liebt und umso mehr entsetzt war, daß nun gerade dort diese faschistoide Gewaltorgie seitens der Polizei ausbrach. Wo war das Mediterrane?
Was soll das also mit der Kunst? Nun stellte sich diese Frage nach der Katastrophe in New York noch verschärfter. Freda ist sehr kritisch mit sich selbst, eine Zweiflerin. Es dauert ewig bis sie ein Bild rausrückt. Immer wiederkehrende Fragen wie: Bin ich überhaupt eine Malerin, wo bleibt der Ruhm, wo bleibt das Geld, die anderen sind viel jünger und viel erfolgreicher als ich usw, usw… La vie d’Artiste- kennt man ja. Alles Fragen, die uns immer wieder beschäftigen – und irgendwann auch die jüngeren. Unsere Generation (das gilt nur für die ehemaligen Westdeutschen) wird in der Literatur als die Generation der Berufsjugendlichen geführt. 1968 zu jung, um zu den früh vergreisten 68igern zu gehören und 1980 zu alt, um mit den Hausbesetzern Steine zu schmeißen. Eben ‘inbetween’. Die ewigen Beobachter, die selten das beeindruckt. Die Entstehung dieser Reihe habe ich mitverfolgt. Immer wenn ich das Gefühl hatte, jetzt stimmt aber alles, ging Freda hin und ließ ihre Ladies noch feiner und durchsichtiger werden. Bis es stimmte – für sie.
Bei Freda habe ich immer ihr unglaubliches Stehvermögen bewundert. Es gibt eine Kraft bei ihr, die man ihren Bildern, die oft – nicht immer – etwas sprödes und verschlossenes haben und sich erst beim 2. oder 3. Hinsehen langsam öffnen, ansieht. Geradezu mißtrauische und einsame Bilder, die erobert sein wollen. Am Anfang unserer Freundschaft war der Kontrast zwischen Fredas Erscheinung und ihrer Bilderwelt für mich manchmal frappierend. So manche hielten sie für ihr bestes Ausstellungsstück. Das führte dann auch schon mal zu Mißverständnissen, und die Frage stand im Raum: Will der Kunde jetzt ein Bild von mir kaufen oder mich? Fredas Bilder können nicht unter dem Adjektiv ‘schön’ abgelegt werden und sie haben in ihrer Kompromißlosigkeit überhaupt nichts modisches.
Also, was soll das mit der Kunst in solch finsteren Zeiten?
Wenn ich mich jetzt in deiner Ausstellung umschaue, liebe Freda, dann muß ich sagen, daß du mir mit deinem “wärts” aus der Seele sprichst. Liest es sich doch auch wie eine Beschreibung des aktuellen Zustands. In dem du “wärts”, ein Wort was es gar nicht gibt, freigesetzt hast, entläßt du den Zuschauer in eine Bewegung. Alles ist möglich. Was ist das Gegenteil von Himmelwärts? Was ist Vorwärts? Was ist Rückwärts? Südwärts? Du gibst dem Vakuum, in dem wir uns gerade befinden einen Namen, den, so paradox es klingt, es gar nicht gibt, aber gleichwohl jeder begreift. Das ist tröstlich. Deshalb wird deine Kunst gebraucht. Deshalb muß man in solchen Zeiten, auch wenn man die Ausstellung 100mal absagen wollte, rosa Bänke ausstellen. Mehr rosa Bänke, bitte, Freda!
In einem kurzen Gedicht unseres gemeinsamen Freundes Thomas Brasch fand ich etwas von dem wieder, was dich, was uns umtreibt, und was sich vielleicht am deutlichsten in dem Bild auf der Einladung wiederfindet und daß ich hier zum Schluß noch kurz vortragen möchte.
Was ich habe, will ich nicht verlieren, aber
wo ich bin will ich nicht bleiben, aber
die ich liebe, will ich nicht verlassen, aber
die ich kenne will ich nicht mehr sehen, aber
wo ich lebe, da will ich nicht sterben, aber
wo ich sterbe, da will ich nicht hin:
Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin.



